Veranstaltung: | 64. Mitgliederversammlung |
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Tagesordnungspunkt: | 5.5. Berichte: Antidskriminierungsbeauftragte |
Eingereicht durch: | Marvin Bielicki |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 31.08.2020, 17:15 |
B4: Bericht Marvin Bielicki
Bericht
Liebe Mitgliederversammlung (MV),
wie wahrscheinlich jede andere auch war diese Amtsperiode geprägt von
Konflikten, Intrigen und Gruppenzusammenhalt (oder wie es in Niederbayern heißt:
Spezlwirtschaft). Auch Beobachtungen dazu sind meiner Auffassung nach Teil des
Berichts. Um jedoch nicht das Gefühl zu geben, sich in uralte Konflikte
einarbeiten zu müssen, habe ich den Bericht in zwei Teilen formuliert. Der erste
Teil soll einen allgemeinen Überblick in die Arbeit geben, der letzte Teil
Beobachtungen und Bewertungen darlegen.
Im Übrigen möchte ich eine allgemeine Contentnote aussprechen bezüglich dieses
Textes. Ich persönlich weiß nicht genau, was alles hierin bestimmte Reaktionen
auslösen kann und möchte sie auch nicht aussprechen. Zumindest hier nicht. Aber
es handelt sich um einen Bericht über Antidiskriminierungsarbeit. Wäre er
positiv, wüssten wir alle davon, denn dann wäre die Gesellschaft als solche
diskriminierungsfrei. Es werden also Vorfälle, Diskriminierungen, Übergriffe und
andere in diesem Kontext stehende Ereignisse angesprochen. Daher die
Contentnote.
Erster Teil
Ich habe anfangs überlegt, jeden einzelnen, mir bekannten vereinsöffentlichen
Vorfall darzustellen. Allerdings ist mir beim Schreiben aufgefallen, dass es
viel zu viel in Details gehen würde, viel zu viel an Text wäre und ich leider
auch nicht wirklich den Eindruck habe, dass sich dadurch etwas ändern würde. Ich
habe mich daher dazu entschieden, kurz stichpunktartig alles darzulegen, was
passierte. Dies dient einerseits der Lesbarkeit und dem Überblick und soll
andererseits auch in etwa die Wertschätzung widerspiegeln, mit der der Verband
als solcher diese Konflikte behandelte.
Bezüglich der anderen Aufgaben, insbesondere hinsichtlich Besuchen von
Veranstaltungen und Weiterentwicklung der Ordnungen: Ich persönlich habe eine
Sitzung des Ausschusses der Student*innenschaften (AS), eine Ausschusssitzung,
die letzte Mitgliederversammlung (MV) sowie den Winterkongress in meiner
Eigenschaft als Antidiskriminierungsbeauftragte_r besucht. Das Ergebnis der
„Weiterentwicklung der Ordnungen“ seht ihr in meinen Anträgen, die vor allem aus
dem Eindruck der letzten Monate heraus entstanden.
Nun zum eigentlichen Bericht.
- Von den insgesamt acht Bewerber_innen für das Antidiskriminierungsteam
haben in der ersten Phase 5/6 ihre Bewerbungen zurückgezogen und in der
zweiten Phase wurden 2/3 Personen ihres Amtes wegen Pflichtverletzungen im
Amt enthoben. Gekennzeichnet wurde dies durch zahlreiche Konflikte, in
deren Prozessen nicht wirklich Kommunikation und Aufeinander-Eingehen
stattfanden.
- Bereits während des Wahlprozesses kam es zu einem Mailaustausch, in dem
diskriminierende Äußerungen getätigt wurden, was wiederum einen heftigen
Streit über die Interpretierung von Erfahrungen und die Geltung von
Deutungshoheit entfachte.
- Auf Veranstaltungen wurden allgemeine Fragen wie Deutungshoheit und
Anspruch auf Erfahrungen hinterfragt. Auf dem Winterkongress wurde
Teilnehmenden aus deutlich marginalisierten Gruppen das Recht genommen,
sich diskriminiert zu fühlen. Die Aufstellung von Gesprächsregeln, eine
Besprechung (intern wie extern) und eine regelmäßige Vorstellung fanden
nicht statt. Auch die Stimmung generell wurde von allen Seiten als
unangenehm, übergriffig, unterdrückend und alles andere als offen
beschrieben. Unmittelbar angesprochen, offen kritisiert oder etwas daran
geändert wurde nichts.
- Auch in einem weiteren Kontext sprachen die beteiligten
Antidiskriminierungsbeauftragten (hier, wie auch im Folgenden geht es um
die eingangs genannten 2/3 - später enthobenen - Beauftragten)
Deutungshoheit ab, machten eine Hierarchisierung von
Diskriminierungserfahrungen auf und sprachen Identitäten und ein Recht auf
Betroffenheit ab. Auf Kritik daran reagierten sie mit Gegenvorwürfen. Als
der AS diesen Konflikt vorgelegt bekam (von ebenjenen Beauftragten), zog
er es vor, den Konflikt auf die MV zu vertagen.
- Im Vorfeld der MV wurden von einem Ausschuss Anträge zur Einbindung
nichtbinärer Personen in Quoten erarbeitet. Auf Kritik von betroffenen
Personen wurde abweisend und beleidigend reagiert, ein gefordertes
Beteiligungsverfahren nicht nur abgelehnt, sondern als zu aufwändig
betrachtet und sich mittels Tokenism jeglicher Kritik verwehrt.
- Auf der MV selbst wurden Gesprächsregeln nicht eingehalten, es wurden
diskriminierende Zermürbungstaktiken angewendet, auf eindeutige,
öffentliche und breite Kritik an solchem Verhalten wurde nicht
eingegangen. Es waren zahlreiche Queerplena nötig und der zweite Tag
endete damit, dass delegierte Mitglieder einer Struktur auf Forderung des
Queerplenums ein Hausverbot ausgesprochen bekamen. Anstatt dieses zu
respektieren, zogen sie die Eskalation vor, machten einen Polizeieinsatz
nötig und verließen den Saal, nicht ohne diesen (wissend um die drohenden
Sanktionen, die der ausrichtenden Studischaft bevorstünden) vollzustickern
und eine Glasflasche mit drappiertem Taschentuch (Molotowcocktailattrappe)
zu hinterlassen.
Laut einer persönlichen Erklärung sollen Teile der Struktur auf die Frage,
warum sie nicht einfach gingen, gesagt haben „wir wollten die Eskalation,
wir wollten das, das wird alles morgen in der TAZ und Jungle World
stehen“.
Auch die besagte Enthebung der ehemaligen zwei anderen Anti-
Diskriminierungs-Beauftragten fand auf der MV auf Forderung des
Queerplenums statt.
- Der notwendig gewordene (und vom Queerplenum als letzte Konsequenz
geforderte) Polizeieinsatz wird kritisiert, ohne auf die Angst, die
Betroffene spürten und die Situation als Solche, also warum er überhaupt
nötig wurde, einzugehen. Ebenso wenig auf den Fakt, dass Personen die
Polizei riefen, die selbst bereits Opfer von Polizeigewalt waren.
- Auf einer Ausschusssitzung wurde eine Person, die als Gäst_in anwesend
war, ohne Mitwissen aufgezeichnet. Eine Aufklärung darüber fand erst im
Nachhinein statt. Auf die von verschiedenen Stellen daran geübte Kritik
und auf Klärungsversuche wurde nicht reagiert. Als der AS eingeschaltet
wurde, reagierte der Ausschuss, jedoch - statt reflektierend - angreifend
und mit stark diskriminierenden Äußerungen. Von „Cancel Culture“,
„Täter*innen-Opfer-Umkehr“, „Machtmissbrauch“, „Unverständnis“ und
zahlreichen, teilweise schlimmeren Vorwürfen war die Rede. Der AS zog,
trotz Antrag und Debatte, keine Konsequenzen. Die Mitglieder des
Ausschusses traten zurück, jedoch aus Protest gegen die ihrer Meinung nach
unfaire Behandlung und nicht aus Verantwortungsübernahme für ihre
Handlungen.
- Im Zuge der Debatte wurde das Aufzeichnen zu Protokollzwecken als legal
und unproblematisch dargestellt. Im AS selbst wurde ein Antrag gestellt,
dass der Vorfall nicht gemeldet werden solle, da ansonsten noch viel
schlimmere Dinge zum Vorschein kämen.
- Eine Person, die in Bamberg in der Redeleitung teilnahm, wurde nicht in
die Redeleitung der nächsten MV aufgenommen mit der Begründung, dass sie
vorbelastet sei. Andere Mitglieder der Redeleitung wurden hingegen
wiederaufgenommen.
- Im Verlauf der Amtszeit gab es mehrere Mediationsanfragen. Lediglich eine
konnte stattfinden, andere scheiterten an mangelndem Willen einzelner
Beteiligter.
An dieser Stelle überlasse ich die Bewertung allen Personen einzeln. Nur eines
vorweg. Ich habe bewusst darauf verzichtet, Namen und Strukturen zu nennen.
Sollten jedoch Zweifel gesät werden, insbesondere von denen, die ich hier nicht
namentlich anspreche, bin ich durchaus dazu bereit, Namen und
Kommunikationsverläufe zu veröffentlichen.
Zweiter Teil
Auch hier wollte ich zuallererst detailliert alles rauslassen, was mir auf der
Zunge liegt und einfach den ganzen Eintopf an Gefühlen loswerden, den ich mir im
Laufe der Zeit angesammelt habe. Dann ist mir aber eingefallen: wozu eigentlich.
Dieser Verband ist leider viel zu durchzogen von persönlichen Intrigen,
Vorteilsspielen und Eigeninteressen, als dass davon irgendetwas ankommen würde.
Was leider dazu führen musste, dass ich selbst auch nicht frei von Schuld bin
und mitgemacht habe. Ein paar Sachen möchte ich dennoch weitergeben, formuliert
als Fragen und Aussagen, je nachdem, was von Fall zu Fall besser passt.
Warum wird ausgerechnet nach einem übergriffigen Vorfall debattiert, ob etwas
nun Deutungshoheit oder Definitionsmacht heißt und so ein Derailing versucht?
Warum wird Neutralität immer dann von den Personen gefordert, an denen Kritik
geübt wird? Warum nicht, wenn sie gerade selbst Kritik üben?
Warum müssen, wenn Kritik am Verhalten kommt, immer gleich Beleidigungen und
Vorwürfe kommen? Warum haben es einige Personen nötig, dann sofort auf Kampf und
mentale Zerstörung aus zu sein?
Warum scheint es unmöglich zu sein, das eigene Verhalten zu reflektieren oder zu
begreifen, dass jeder Mensch nun mal leider diskriminierendes Verhalten zeigen
kann und es auch andere betroffene Gruppen als die eigene oder einige wenige
gibt? Wer ohne Diskriminierung ist, werfe den ersten Stein. Oder wollt ihr mir
allen Ernstes weismachen, dass Alice Weidel nicht frauen- und homofeindlich sein
kann?
Es gibt so vieles, was ich sagen möchte, so viele Emotionen, die ich loswerden
möchte. Aber am Ende des Tages bleibt mir nur die Frage, ob davon auch nur ein
Bruchteil ankommen würde. Deshalb belasse ich es bei den Fragen. Was daraus
gemacht wird, bleibt den Menschen selbst überlassen.
An dieser Stelle auch Folgendes: Es gab trotz allem immer wieder einige Leute,
die den Mund aufgemacht und Sachen nicht hingenommen haben. Diesen Menschen
meinen tiefsten Dank. Bitte macht weiter, denn ihr seid es, die Mut machen,
Kraft geben und zum Weitermachen ermuntern.
Abschließen möchte ich mit zwei Zitaten und einer Aussage zur Debatte, ob die
Antidiskriminierungsbeauftragten Geld erhalten sollen. Letzteres zuerst: ja, auf
jeden Fall, und wenn es nur dazu dient, die psychologische Behandlung, die nach
ernster Aufgabenwahrnehmung leider nötig wird zu bezahlen.
Und zum Schluss die Zitate:
"Until all of us are free, none of us are free".
"I don't ask for much, truth be told I'd settle for a life less frightening".
Kommentare
Jan Fritz: