Veranstaltung: | 66. Mitgliederversammlung, digital |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | 10. Inhaltliche Anträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | 66. Mitgliederversammlung |
Beschlossen am: | 06.03.2021 |
Basierend auf: | I-A4: Positionspapier: Hochschulfinanzierung |
Positionspapier: Hochschulfinanzierung
Beschlusstext
Abstract
Die Krise fördert zu Tage, was seit Jahren bekannt ist: Hochschulen in
Deutschland sind so chronisch unterfinanziert, dass viele Bereiche nur auf
Sparflamme betrieben werden können. Mit dieser umfassenden Positionierung
werden die Probleme im Bereich der Hochschulfinanzierung kurzbündig
identifiziert. Hierzu wird zum einen auf die unterschiedlichen Quellen der
Hochschulfinanzierung eingegangen (Grundfinanzierung, Programm- und Drittmittel,
Exzellenzinitiative, Zukunftsvertrag Studium und Lehre, Studiengebühren). Aber
auch auf rechtliche Rahmenbedingungen wie dem Kooperationsverbot zwischen Bund
und Ländern oder der Kapazitätsgrundverordnung. Außerdem widmen wir uns den
Themen des Hochschulbaus, der Digitalisierung, der Antidiskriminierungsarbeit
und der Nachhaltigkeit gesondert. Davon ausgehend werden Forderungen an die
Politik formuliert.
Positionierung
Die Krise fördert zu Tage, was seit Jahren bekannt ist: Hochschulen in
Deutschland sind so chronisch unterfinanziert, dass viele Bereiche nur auf
Sparflamme betrieben werden können. Im Zuge der Wandlung öffentlich-
rechtlicher Institutionen unter dem neoliberalen Paradigma des New Public
Managements wurde und wird die Bildungslandschaft immer mehr in Richtung
unternehmerischer (Hoch-)Schulen getrieben. Diese Entwicklungen sind
besorgniserregend. Denn Bund und Länder entziehen sich immer mehr ihren
Verpflichtungen die grundgesetzlich verankerten Rechte auf Bildung sowie die
Freiheit von Lehre und Forschung abzusichern. Auf dem Spiel stehen hierbei
Grundsätze des freien Zugangs zu Bildung, die Unabhängigkeit von Lehre und
Forschung und gute Arbeitsbedingungen im Lehr- und Wissenschaftsbetrieb - kurz
um: das öffentliche Gut "Bildung" wird immer weiter staatlicherseits
untergraben.
Grundfinanzierung
Bei Betrachtung der Entwicklung der Hochschulfinanzierung in Deutschland zeigt
sich, dass die Finanzierung der Lehre seit dem "Öffnungsbeschluss" der KMK von
1977 preisbereinigt und pro Student*in betrachtet zunehmend schlechter geworden.
Damals wurde beschlossen, die Hochschulen für die wachsende Zahl von
Bewerber*innen weiterhin offen zu halten, ohne jedoch die Finanzierung
entsprechend zu steigern. Der vermeintlich nicht lange anhaltende
"Studierendenberg" sollte mit kurzfristigen Maßnahmen und einer temporären
Überlast "untertunnelt" werden. Allerdings sind die Studierendenzahlen seitdem
(mit Schwankungen) weiterhin gewachsen und die Finanzierung ist relativ
betrachtet bis ca. Mitte der 2010er Jahre weiterhin schlechter geworden. Erst
seitdem geben Bund und Länder im bundesweiten Schnitt gemeinsam wieder mehr
Geld pro Student*in aus - allerdings mit großen Unterschiedlichen zwischen den
Ländern sowohl in den Steigerungsraten als auch dem Ausgangsniveau. Zudem sind
aber auch die Aufgaben der Hochschulen in den letzten Jahrzehnten weiter
angewachsen, weil z.B. (wünschenswerte) Themen wie Internationalisierung,
Wissens- und Technologietransfer, Digitalisierung, Gleichstellung, Anti-
Diskriminierung, Inklusion, Weiterbildung, Wissenschaftskommunikation etc
hinzugekommen sind. Dass eine solche Rechnung auf Dauer nicht aufgehen kann, ist
logisch.
Rolle von Programmen
In den vergangenen Jahren ist zunehmend zu beobachten, dass
Wissenschaftsministerien der Länder immer öfter kurzzeitige zweckgebundene
Programme bereitstellen. Viele dieser Programme sind auf Konkurrenz zwischen den
Hochschulen ausgelegt. Dabei profitieren oftmals große Universitäten, die in
der Regel eher Personal für die Antragsausarbeitung bereitstellen können, als
kleine Hochschulen. Doch nicht nur
sind solche Programme aufgrund dessen problematisch, dass sie einen Wettbewerb
von Hochschulen forcieren und kleine Hochschulen benachteiligen. Noch viel
schlimmer ist, dass Programmmittel keine verstetigten Mittel im Sinne einer
Grundfinanzierung darstellen - Hochschulen können also mit ihnen nicht rechnen.
Die Grundidee politische Impulse im Lehr- und Wissenschaftsbetrieb setzen zu
können, ist an sich nicht schlecht. Doch aufgrund der chronischen
Unterfinanzierung der Hochschulen führen die Programme eher dazu, dass
Hochschulen kurzweilig Gelder für irgendwelche Impulsprojekte abrufen, obwohl
die Gelder an anderer Stelle viel sinnvoller und notwendiger angelegt wären.
Für
die Politik bedeuten Programme natürlich, dass immer wieder auf
Leuchtturmprojekte in der eigenen Öffentlichkeitsarbeit hingewiesen werden
kann.
Für die Hochschulen bedeutet eine Verschiebung von Grundmitteln hin zu
Programmmitteln jedoch ein unkalkulierbares Finanzloch.
Drittmittelherkunft
Da den Hochschulen über die Jahrzehnte die verlässliche Grundfinanzierung
gekürzt wurde, sind sie zunehmend gezwungen, immer stärker wettbewerblich
Drittmittel einzuwerben. Ein wachsender Anteil von Drittmittlen hat verschiedene
potenzielle Nachteile:
- es besteht eine Abhängigkeit der Forschung vom Vorhandensein von
Drittmitteln für bestimmte Forschungsthemen
- Forschung wird projektförmig und kurzlebig
- ddie Forscher*innen können opprotunistisch gegenüber ihren tatsächlich
oder möglichen Geldgeber*innen werden
- es wird viel Zeit und Geld für das (sowohl erfolgreiche als auch
erfolglose) Schreiben von Anträgen und Berichten verschwendet
- es werden durch Drittmittel häufiger Forschungsfragen gefördert, die
näher am Mainstream des Fachs liegen statt ein Risiko mit offenem
Ergebnis wagen
Außerdem werden durch Drittmittel die Beschäftigungsverhältnisse in der
Wissenschaft zunehmend stärker befristet und (noch) abhängiger von den
Drittmittelempfänger*innen. Die beruflichen Perspektiven von vielen
Wissenschaftler*innen werden noch unsteter und unplanbarer.
Große renommierte Universitäten sind bei der Einwerbung von Drittmitteln
deutlich im Vorteil, während kleinere und Fachhochschulen dabei an den rand
gedrängt werden.
Zudem kamen 2018 1,5 Milliarden Euro bzw. 18 Prozent aller Drittmittel aus der
gewerblichen Wirtschaft. Damit machen private Mittel zwar nur einen kleinen
Anteil an der gesamten Finanzierung der Hochschulen insgesamt aus. Sie sind aber
deutlich ungleich verteilt zwischen Fächern und Hochschulen, sodass in einigen
Fällen durchaus Abhängigkeiten von privater Geber*innen entstehen kann.
Auftragsforschung steht oft der
Idee freier Forschung entgegen. Denn wer abhängig von solchen Aufträgen ist,
wird tunlichst vermeiden zu kritisch zu werden. In Tübingen finanziert
beispielsweise Amazon ein "Cyber Valley" zur Erforschung künstlicher
Intelligenz
und das US-amerikanische Pentagon sowie ähnliche Steakholder finanzieren immer
wieder Forschung, welche sie für kriegerische Konflikte nutzbar gemacht werden
kann.
Drittmittel sind genauso wie Programmmittel nicht grundsätzlich ein Problem.
Problematisch ist jedoch, wenn dass einerseits Hochschulen mittlerweile fast die
Hälfte der Forschung aus Drittmitteln finanziert wird und damit
Wissenschaftler*innen gerade in mittelintensiven Fächern häufig von solchen
Mitteln der erfolgreichen Einwerbung von Drittmitteln abhängig werden geworden
sind, um überhaupt arbeiten zu können, da hierdurch der Grundpfeiler freier
Forschung und Lehre angegriffen wird. Andererseits ist ebenso problematisch,
dass die Herkunft von
Drittmitteln oft fragwürdig ist und von Hochschulen daher gerne verschleiert
wird die geschlossenen Verträge und damit die tatsächlichen
Verwendungsbedingungen der Drittmittel nicht offenlegen müssen. Ziel einer
modernen sozialen Gesellschaft muss es jedoch zudem sein, dass die
Forschung und Lehre staatlicher Hochschulen immer zivilen Zwecken und somit der
Allgemeinheit dienen.
Exzellenzinitiative
Die Extellenzinitiative/-strategie ist der bisherige Höhepunkt des neoliberalen
Wettbewerbs in der Wissenschaft. Erstmals in der Geschichte sollten ganze
Universitäten gegeneinander antreten. Der Wettbewerb war auf das Ziel
ausgerichtet, einigen wenigen Universitäten in Deutschland eine sogenannte
„internationale Sichtbarkeit“ zu verleihen, die im Wesentlichen auf
Prestigegewinnen abzielt, während gleichzeitig verhältnismäßig wenig Geld im
Spiel ist. Es ist sachlich kaum zu begründen, dass eine gesamte Universität
gleichzeitig "exzellent" sein soll. Die künstliche Trennung zwischen
Gewinner*innen und Verlierer*innen auf Basis marginaler Unterschiede führt zur
Spaltung einer bisher vergleichsweise egalitären Hochschullandschaft und
erschafft erst die Differenzen, die sie vorgibt zu messen. Ein Qualitätsgewinn
in der Summe aller Universitäten konnte auch durch offizielle Evaluationen
bisher nicht gezeigt werden. Es wird dadurch vor allem einem vorhersehbaren
Kreis großer Universitäten, die bisher schon viel hatten, noch mehr gegeben.
Gleichzeitig werden bei der Vergabe der Mittel die MINT-Fächer gegenüber den
Geistes- und Sozialwissenschaften bevorteilt und die Einheit von Forschung und
Lehre wird auf dem Wege der Finanzierung getrennt, da bei der Exzellent nur die
Forschung ausgezeichnet und finanziert wird. Vergeben wurden die Titel dabei vor
allem auf Basis von Anträgen, die eine ungewisse Zukunft ausmalen sollten. So
ist es inzwischen
die Regel, dass Hochschulen Gelder lieber für die umfangreiche
Antragsbearbeitung der Exzellenz nutzen und teils zweckentfremden, als dass sie
die Gelder dort anlegen, wo sie dringend benötigt werden: in der Lehre und bei
der Einrichtung von Dauerstellen für Daueraufgaben. Daneben ist höchst
problematisch, dass manche Hochschulen und Bundesländer stärker gefördert
werden, als andere, da dies eine ungleiche Wertigkeit von Bildungsabschlüssen
in
Deutschland sowie eine Schieflage hinsichtlich der Finanzierung von
unterschiedlichen Hochschulen bewirkt. So werden Hochschulen aus Süd-West-
Deutschland deutlich öfter gefördert und hierbei wiederum insbesondere die
Universitäten.
Kooperationsverbot
(Mangelhafte) Kooperation von Bund und Ländern bei der Finanzierung der
Hochschulen
Durch das Kooperationsverbot sollte einst als Lehre aus der deutschen Geschichte
verhindert werden, dass die Gleichschaltung der deutschen Bundesländer jemals
wieder so einfach umsetzbar sein würde. Doch inzwischen zeigt sich, dass das
Kooperationsverbot in der heutigen Form zu massiven Problemen in der Bildung
führen. Der Bund zieht sich aus der Finanzierung der Lehre an Hochschulen so
weit er kann raus und verweist hierbei auf die Hoheit der Länder. Die Länder
wiederum lassen seit Jahren die bereitgestellten Mittel aus ihren Haushalten
für
die Hochschulen schrumpfen. Dort wo Bund und Länder kooperieren, werden die
bereitgestellten Bundesmittel an Exzellenz-Kriterien geknüpft, sodass große
renommierte Universitäten bevorteilt sind. In den Bundesländern wird zudem
ähnlich agiert. Und in Zeiten der Krise hat sich gezeigt: je nach
Landesregierung sind die Bedingungen unter denen Studierende lernen und
Angestellte arbeiten stark variierend. Mit der Idee gleicher und guter Lehr-
sowie Arbeitsbedingungen hat dies nichts gemein. Zwar gibt es mit der
"Kultusministerkonferenz" (KMK) Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) den
ständigen Versuch von Bund und Ländern auf freiwilliger Basis zu kooperieren.
Dennoch hat dies nicht dazu geführt, gemeinsam Hochschulbildung zu gestalten -
jedes Bundesland kocht weiterhin sein eigenes chronisch unterfinanziertes
Süppchen und der Bund gibt sich damit zufrieden nur zuzusehen. Dabei liegt in
der gemeinsamen Bildungsgestaltung ein ungeahntes Potential.
Durch die "Kulturhoheit" der Länder und damit auch ihre Zuständigkeit für die
Hochschulen sollte einst als Lehre aus der deutschen Geschichte verhindert
werden, dass die Gleichschaltung der deutschen Hochschulen jemals wieder so
einfach umsetzbar sein würde. Damit sind die Länder auch bis heute
hauptverantwortlich für die Finanzierung ihrer Hochschulen. Lange hat sich der
Bund nur stellenweise und zeitliche befristet in die Finanzierung eingebracht,
vor allem bei der Forschung. Zudem galt von der Föderalismusreform von 2006 bis
zu Änderung 2015 das so genannte "Kooperationsverbot" (Art 91b GG), dass es dem
Bund nicht erlaubt hat, die Länder dauerhaft und zuverlässig bei der
Finanzierung der Hochschulen zu unterstützen. Deswegen wurden Programme wie der
Hochschulpakt oder die Exzellenzinitiative anfangs befristet gestartet. Da die
Länder in den letzten 20 Jahren aber mehrheitlich zumeist knapper bei Kasse
waren als der Bund, wurden die Einschränkungen bei der gemeinsamen Finanzierung
der Hochschulen 2015 wieder gekippt. Zwar hat der Bund in den letzten Jahren
tatsächlich mehr Geld für die Hochschulen gegeben (2000: 1,9 Mrd. €, 2019:
5,4 Mrd. €), aber angesichts der seit Jahrzehnten zusammengesparten
Hochschulen und angesichts der Länder, deren Finanzen nicht nur meist zu
schwach sind, sondern die ihre Hochschulen auch sehr unterschiedlich stark
finanzieren, wird der Bund seiner Verantwirtung für gleichwertige
Lebensverhältnisse und einer auskömmlich finanzierten Forschung und Lehre
nicht gerecht. Da der Bund außerdem den größten Teils seines Geldes für die
Forschung und nach Exzellenz-Kriterien vergibt, hat er den jahrzehntelangen
Sparkurs an der Bildung verantwortungslos mitgetragen. Stattdessen kocht im
Wesentlichen weiterhin jedes Bundesland sein eignes chronisch unterfinanziertes
Süppchen.
Hochschulpakt Lehre (HSP) und Zukunftsvertrag Studium und Lehre (ZVL)
Mit dem Hochschulpaktlehre wurden, nachdem viele Bundesländer durch den
Umschwung auf G8 mit Doppeljahrgängen konfrontiert waren, zusätzliche Gelder
den Hochschulen zur Abfederung bereitgestellt. Die Annahme war hierbei stets,
dass die Studienanfänger*innenzahlen mit der Zeit wieder auf den Stand von vor
G8 zurückgehen würden. Das taten sie aber nicht. Durch die zeitliche
Befristung der Gelder agierten die Hochschulen jedoch anders als Gedacht. Es
wurde nicht flächendeckend neues und entfristetes Personal eingestellt, da eine
Anschlussfinanzierung nicht in Aussicht stand. Auch wurden die Mittel in der
Regel dazu genutzt, die durch die Unterfinanzierung verursachten Löcher zu
stopfen. Das ursprüngliche Ziel der Erhöhung der Angestellten in Relation zu
den steigenden Studierendenzahlen wurde nicht einmal ansatzweise erreicht, wie
der Bundesrechnungshof in seiner Begutachtung 2020 rügt. Inzwischen wurde mit
dem ZVL ein Anschlussvertrag beschlossen. Doch auch hier bleibt bestehen, dass
die Gelder weder ausreichen noch unbefristet sind. Gute Lehre braucht gute
Betreuungsrelationen. Diese sind nur erreichbar, wenn Daueraufgaben mit
Dauerstellen besetzt werden, was wiederum entfristete Finanzmittel voraussetzt.
Daneben wurde im ZVL die Zweckbindung der Mittel für die Lehre aufgehoben. Dies
war beim HSP noch gegeben. Zwar beharrt die Bundesregierung darauf, dass dies
unproblematisch sei, weil die Mittel ja sowieso für die Lehre zweckbestimmt
seien. Doch die Bundesländer kontrollieren den Einsatz der Mittel kaum. Immer
wieder verlautbaren Hochschulleitungen, die Gelder nun soweit möglich
zweckentfremden zu wollen - insbesondere, um bessere Chancen bei der
Exzellenzinitiative zu haben, welche bei erlangtem Zuschlag hohe Geldressourcen
für die Forschung bedeutet. Freilich sind Forschung und Lehre nicht gänzlich
getrennt, sodass eine Person, die für die Forschung angestellt wird, durchaus
gleichzeitig für die Lehre zuständig sein kann. Dennoch weisen Aspekte wie,
dass die Angestelltenzahlen der Hochschulen seit Beginn des HSP nicht gestiegen
sind, in Hochschulen immer wieder Zweckentfremdungen offen eingestanden werden,
sowie der Fakt, dass die Gelder so intransparent fließen, dass in keinster
Weise nachvollziehbar ist, wo sie genutzt werden, darauf hin, dass die Bund-
Länder-Programm keine Lösung für die mangelnde Grundfinanzierung der
Hochschulen darstellen.
Exkurs: Kapazitätsverordnung
Nachdem bereits vielerorts von den Hochschulen NCs eingeführt worden waren und
mehrere Bewerber*innen auf Zulassung zum Medizinstudium geklagt hatten, fällte
das Bundesverfassungsgericht 1972 mit seinem ‚Numerus Clausus-Urteil‘[1] eine
weichenstellende Entscheidung hinsichtlich der Nutzung der Lehrkapazitäten der
Hochschulen. Nachdem sich Hochschulen zuvor bei der Einführung von
Zulassungsbeschränkungen schon an den vorhandenen personellen Kapazitäten
orientiert hatten, entschied das Gericht, dass Zulassungsbeschränkungen (z. B.
in Form von NCs) nur „unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen, mit
öffentlichen Mitteln geschaffenen Ausbildungskapazitäten“ (BVerfGE 1972) erlaubt
sind, und begründete dies mit dem Teilhaberecht an den vom Staat gebotenen
Bildungs- und Lebenschancen. Außerdem sollen die Universitäten dabei gleichmäßig
ausgelastet werden. Da dadurch das Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium
(welches sich aus dem Recht auf freie Wahl des Berufes und der Ausbildungsstätte
in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip
ergebe) eingeschränkt wird, könne dies nur durch Gesetz oder auf Grund eines
Gesetzes geschehen. Mit einem noch im selbem Jahr geschlossenen Staatsvertrag
regelten die 16 Länder nicht nur Zulassungsverfahren und -kriterien bundesweit
einheitlich, sondern schufen die Rechts- und Berechnungsgrundlage dafür, dass
alle Hochschulen ihre Lehrkapazitäten ausschöpfen und gleichmäßig belastet
werden. Diese Regelungen hat jedes Bundesland in Form einer Kapazitätsverordnung
(KapVO) in Landesrecht überführt.
Die Forderungen des BVerfG der erschöpfenden und gleichmäßigen Nutzung der
Lehrkapazitäten, auf denen das Kapazitätsrecht aufbaut, führen also dazu, dass
Studienbewerber*innen nicht willkürlich abgewiesen werden können und dass die
Studienqualität an allen Hochschulen in etwa ähnlich gut ist (da aufgrund
gleicher Berechnungsgrundlage ermittelt wird, wie viele Studienplätze sich aus
den vorhandenen Lehrkapazitäten ergeben). Werden die Parameter der
Kapazitätsberechnung aber tief genug runter geschraubt - wie die Bundesländer
das getan haben, um nicht mehr Geld für die Hochschulen ausgeben zu müssen -
kommt dabei auf der Kehrseite jedoch heraus, dass die Studienqualität überall
gleich schlecht ist.
Hier besteht ein schwieriges Spannungsfeld: Würden z. B. die Lehrverpflichtungen
der einzelnen Dozierenden gesenkt, dann könnten einzelne Lehrende bessere
Lehrveranstaltungen geben, weil sie mehr Zeit für Vor- und Nachbereitung hätten.
Würden aber nicht gleichzeitig auch die Hochschulen besser finanziert und mehr
Personal eingestellt, dann würde dadurch die Anzahl zur Verfügung stehender
Studienplätze sinken. Ziel darf es jedoch nicht sein, dass die Qualität auf
Kosten von Studieninteressierten erhöht wird, die dann keinen Studienplatz mehr
erhalten. Die Lösung kann also nur darin bestehen, dass die Hochschulen besser
finanziert werden, um mehr Lehrpersonal beschäftigen zu können. Dadurch könnten
sie zuerst alle Studienbewerber*innen aufnehmen und dann auch die
Betreuungsrelationen tatsächlich verbessern.
Hochschulbau
Der Hochschulbau ist ein besonders kompliziertes Thema. Es könnte angenommen
werden, dass, wenn der Putz von der Decke bröckelt, PCB die Gesundheit von
Hochschulangehörigen gefährdet oder die Infrastruktur in Anbetracht
gestiegener Studierendenzahlen nicht mehr ausreichen, die Hochschulen
entsprechende Sanierungs- und Baumaßnahmen umsetzen. Doch dem ist so nicht.
Denn, damit an Hochschulen Sanierungs- und Baumaßnahmen vollzogen werden
können, muss eine Reihe von Akteuren tätig werden. Es ist nämlich nicht etwas
so, als würden die Hochschulen selbstständig sobald nötig Sanierungs- und
Baumaßnahmen umsetzen können. Nein, vielmehr müssen die Landesämter, welche
für Baumaßnahmen zuständig sind und den Finanzministerien untergeordnet sind,
die Genehmigung für solche Vorhaben erteilen. So mischen also
Finanzministerium, Bauämter, Wissenschaftsministerien und Hochschulen beim
Thema "Sanierung und Bau" mit. Jedes Vorhaben zieht dabei einen bürokratischen
Rattenschwanz mit sich, für den an den Hochschulen richtiger Weise keinerlei
Verständnis existiert. Dazu kommt, dass die Bauämter darüber entscheiden,
wann welche Vorhaben umzusetzen sind. Folglich werden Notwendige gerne mal in
ungewisse Zukunft verschoben und andere so plötzlich angeordnet, dass die
Hochschulen gar nicht wissen, wie sie das aus ihren einem schweizer Käse
gleichenden Finanzmitteln bezahlen sollen. Derweil regnet es in Gebäude hinein
und im großen Vorsitzungszahl haben 30 Studierende mal wieder keinen Sitzplatz
ergattern können, während die Bibliothek aus den 70er Jahren wegen PCB-
Belastung unzugänglich ist. Willkommen in der Finanz- und Bürokratiehölle
"Hochschulbau".
Digitalisierung
Die Digitalisierung an deutschen Hochschulen ist eng mit den Problemen im
Hochschulbau verknüpft. Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie wurde der Ausbau
digitaler Infrastruktur seitens der Hochschulen stark vernachlässigt. Dies
liegt sicherlich auch daran, dass diese aufgrund der mangelnden Finanzierung an
ganz anderen Stellen erstmal Löcher zu flicken hatten und haben. Doch wurde
hierdurch die Digitalisierung verschlafen. Dass die Politik mit ihrer
hochschulgefährdenden Finanzpolitik dies zuließ, hat sich nun gerächt.
Abgesehen von wenigen technologisierten Technischen Universitäten, nutzen die
meisten Hochschulen eine IT-Infrastruktur die bestenfalls Mitte der 2000er Jahre
gängig war. Hierbei fehlt einerseits oft das Verständnis dafür, wie
Technologie funktioniert - denn, anders als ein Buch oder Kreidetafeln ist
technologie blitzschnell veraltet und bedarf fast jährlicher Updates. Doch wo
nicht einmal die Voraussetzungen für die neuste Hard- und Software besteht, ist
daran nicht zu denken. Zwar ist es beispielsweise ganz nett, wenn überall
Eduroam-Router stehen. Fehlt jedoch der Glasfaser-Anschluss, ist es kein Wunder,
dass regelmäßig das WLAN-Netz zusammenbricht. Und solange Angestellte noch mit
PCs aus Windows 2000 Zeiten arbeiten, wird jeder Versuch der Digitalisierung von
Bürokratieprozessen unweigerlich scheitern. Von einer zumindest Teil-
Digitalisierung in der Lehre und Forschung kann demnach nicht einmal geträumt
werden, wenn die IT-Infrastruktur hierzu nicht bereit steht und das wenige
Personal im IT-Wesen durchgängig damit beschäftigt ist, Altes zum Laufen zu
bringen, anstatt Neues zu entwickeln. Dabei könnten Bund und Länder
insbesondere bei Themen der Digitalisierung Synergieeffekte nutzbar machen. Denn
IT ist nur begrenzt Standortgebunden und Software lässt sich unendlich
vervielfachen. Warum jede Hochschule ihre eigene Lernplattform entwickelt,
anstatt gemeinsam einmal eine für alle Hochschulen nutzbare gute Plattform zu
finanzieren, ist nur eine beispielhafte Form des ungenutzten Potenzials. Da
hilft übrigens auch nicht, dass jetzt ein paar mehr Menschen verstanden haben,
wie BigBlueButton funktioniert, wenn es sowohl an Infrastruktur, als auch an
digitalen Lehrkonzepten fehlt. Digitalisierung an Hochschulen? - Error 404 not
found.
Exkurs: Anti-Diskriminierungsarbeit an Hochschulen
Hochschulen sind gesellschaftlich eingebettet und daher genauso von
strukturellem Rassismus, Sexismus, Ableismus, Klassismus, Antisemitismus und
weiteren Formen der Diskriminierung betroffen. Dort, wo Landes-, Bundes- oder
gar Europarecht es vorschreibt, finanzieren die Hochschulen entsprechende
Stellen um bestimmten Diskriminierungsformen entgegenzuwirken (z.B. Beauftragte
für die Gleichstellung von Frauen und Gebährfähige sowie Beauftragte für
Menschen mit chronischen Erkrankungen/Be_hinderung). Dort diese Stellen werden
meist nur mit dem Mindestmaß an Vollzeitäquivalenten und Mittel ausgestattet,
die vorgeschrieben sind. Zu Diskriminierungsformen wie Rassismus oder
Antisemitismus sowie hinsichtlich Hilfen für Personen ohne akademischen
Background gibt es nur an vereinzelten Hochschulen Bemühungen. Auch gibt es
kaum unabhängige Antidiskriminierungsstellen, an die sich Studierende wie
Angestellte wenden können. Natürlich liegt dies auch daran, dass darauf
bezogene Probleme von den oberen Entscheidungsebenen meist nicht wahrgenommen
werden. Denn noch immer sind die meisten Rektorate/Präsidien und Professuren
mit weißen, männlichen Personen besetzt. Doch auch die mangelnde
Hochschulfinanzierung trägt eine Mitschuld an der Situation. Denn wenn die
Hochschulen nicht einmal finanzielle Mittel für ihre grundlegensten Aufgaben
haben, ist es klar, dass alles, was nicht verpflichtend ist, in der
Priorisierung der Umsetzung hinten überkippt.
Exkurs: Nachhaltigkeit
Das Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit ist eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe. Entsprechend haben auch Hochschulen ihren Teil beizutragen. Doch der
inzwischen in allen Bundesländern vorhandene Sanierungs- und Baustau führt
dazu, dass dieses Ziel kaum erreichbar ist. Nur durch kontinuierliche
Sanierungen und gegebenenfalls Neubauten können Hochschulen ihre
Energieeffizienz steigern.
Daneben führen die gestiegenen Studierendenzahlen sowie die Digitalisierung
dazu, dass die Infrastruktur der Hochschulen ausgebaut wurde und wird. Damit
einher wächst natürlich auch der Energiebedarf. Je nach Bundesland und
Hochschultyp variiert jedoch, ob und inwiefern die Bundesländer den
Energiebedarf der Hochschulen decken. Dort, wo die Energiekosten nicht
automatisch vom Land übernommen werden oder nur pauschal gedeckt werden, reißt
der erhöhte Energiebedarf Finanzlöcher auf. Zudem hindert eine kostendeckende
Strompolitik Hochschulen daran, auf 100% Ökostrom umzusteigen.
Ebenfalls sind Bemühungen zum CO2- und Flächenausgleich für Hochschulen kaum
umzusetzen wenn diese aufgrund der chronischen Unterfinanzierung hierzu keine
Mittel übrig haben.
Studiengebühren
Die Hochschulen in Deutschland sind chronisch unterfinanziert. Schuld daran sind
primär die Bundesländer, die ihrer hoheitlichen Aufgabe der
Hochschulfinanzierung und -strukturierung nicht nachkommen. Doch anstatt die
Länder hierzu öffentlich anzuprangern, setzt seit einigen Jahren der
gefährliche Trend ein, dass die Wiedereinführung von Studiengebühren als das
Heilmittel gesehen wird. Dabei bedeuten Studiengebühren gleich jeder Art immer
eine sozio-ökonomische Selektion. Entsprechend setzten Studierende Ende der
2000er Jahre zu Recht durch, dass die ungerechten Gebühren abgeschafft werden,
damit der Hochschulzugang nicht mehr vom eigenen Geldbeutel abhängt. Doch in
Baden-Württemberg führte jüngst eine Grüne Wissenschaftsministerin wieder
Gebühren für Zweitstudierende und Nicht-EU-Ausländer*innen ein. CDU und FDP
NRW nahmen von solchen Plänen nur deshalb abstand, weil sie sich in Baden-
Württemberg als Null-Summen-Spiel entpuppten. Im kleinen erhebt Hamburg nun
Gebühren für den Medizintest, eingeführt durch eine Rot-Grüne Koalition. Und
die CSU plant in Bayern die Einführung einer "umfassenden
Gebührenerhebungsmöglichkeit" für Hochschulen. Die Hochschulen jubeln, denn
dies bedeutet für sie Einnahmen. Dass sie dabei jedoch nach unten treten
anstatt die Bundesländer in die Pflicht zu nehmen, ist dem Ansinnen von
Diversität in der Bildungslandschaft und dem Prinzip freier Lehre unwürdig.
Und fast noch schlimmer sind nun die teils schon eingeführten, teils
anvisierten Gebühren durch Parteien, die vor wenigen Jahren noch großprotzig
verkündeten und sich damit brüsteten, dass mit der Abschaffung nun ein
Meilenstein in Sachen Bildungsgerechtigkeit erreicht worden sei. Parteien, die
teils in ihren Grundsatzprogrammen eben jenes Ideal der Bildungsgerechtigkeit
verankert haben. Parteien, die sich im Rahmen ihrer Regierungsfunktion der
Bundesländer vor ihrer hoheitlichen Verantwortung inSachen
Hochschulfinanzierung drücken und das hohe Gut freier Bildung aufs Spiel
setzen, um noch den letzten Cent aus Hochschulen und Studierenden zu drücken.
Forderungen
Die Finanzierung von Hochschulen in Deutschland gleicht einem Desaster
sondergleichen. Auf der einen Seite trachten Bund und Länder danach immer
renommierte Forschung und Lehre anzubieten - ganz im Sinne einer
Wissensgesellschaft. Auf der anderen Seite wird Bildung so nachrangig behandelt,
dass die Hochschulfinanzierung inzwischen einem schweizer Käse gleicht. So kann
und darf es nicht weiter gehen, wenn uns freie Bildung und Forschung sowie gute
Lehr- und Arbeitsbedingungen ein allgemeingesellschaftliches Anliegen sind.
Deshalb fordern wir:
- Die Abkehr der Länder von der Idee der "unternehmerischen" Hochschule,
- Die bedarfsorientierte Ausfinanzierung der Hochschule entsprechend der
hoheitlichen Aufgabe der Bundesländer,
- Grundfinanzierung statt Unmengen an Förderprogrammen
- Eine Zweckbindung an die Lehre und Entfristung von Mittel aus dem HSP/ZVL
und ähnlichen Verträgen,
- Entfristete Mittel für die Anstellung von (Lehr-)Personal bereitzustellen
und weitere Maßnahmen zu ergreifen, um Dauerstellen für Daueraufgaben zu
schaffen sowie die Verpflichtung zur Verbesserung der Betreuungsrelationen
einzuführen,
- Eine Entbürokratisierung und Beschleunigung von Sanierungs- und
Baumaßnahmen,
- Keine Erhebung von Studiengebühren egal welcher Art,
- Die Abschaffung des Kooperationsverbotes.
- [1] BVerfGE 33, 303. Abrufbar unter:
https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv033303.html
Begründung
Ergibt sich aus der Positionierung.