Veranstaltung: | Mitgliederversammlung |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | 7. Inhaltliche Anträge |
Eingereicht durch: | Ausschuss Internationales |
Status: | Zurückgezogen (unsichtbar) |
Eingereicht: | 30.07.2019, 19:44 |
I-07: Solidarität mit Student*innenprotesten in Ungarn
Antragstext
Der fzs solidarisiert sich mit den protestierenden Studierenden in Ungarn und
unterstützt ihre Kämpfe gegen den Abbau von Wissenschafts- und Studierfreiheit
sowie den Kampf der Studierenden der Gender Studies gegen Inter-, Homo-, und
Transfeindlichkeit im Regierungshandeln. Der fzs verurteilt antisemitische
Kampagnen und Einstellungen der ungarischen Regierung, ihrer Mitglieder sowie
der sie tragenden Parteien.
Wissenschaftsfreiheit in Gefahr
Die strukturelle Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit in Ungarn durch die
autoritär agierende ungarische Regierung zeigt sich insbesondere an drei
Vorgängen: Der Verdrängung der Central European University (CEU), der
Kontrollübernahme der Akademie der Wissenschaften sowie der Privatisierung der
Corvinus University. Hinzu kommt das Verbot von Gender Studis.
CEU
2017 wurde im Hochschuzlgesetz ein "Lex CEU" verankert, welches von ausländisch
getragenen Hochschulen unter anderem verlangt einen Campus in dem anderen Land
zu haben und einen Vertrag zwischen den Regierungen voraussetzt. Beide
Bedingungen zielten direkt auf die CEU, welche diese nicht erfüllte. Seitdem hat
die CEU viel internationale Solidarität erfahren und es gab Proteste der
Studierenden und Wissenschaftler*innen der CEU, die von anderen
Hochschulangehörigen unterstützt wurden[1]. Die EU-Kommission leitete ein
Vertragsverletzungsverfahren ein, auch das Parliamentary Assembly des
Europarates äußerte sich, ebenso wie das Europaparlament.[2]
Trotz allem ließ die ungarische Regierung nicht davon ab, weiter gegen die CEU
zu agitieren und sie im praktischen Verwaltungshandeln aus dem Land zu drängen.
Sie verweigerte sich aller Versuche von US-Stellen, einen Vertrag mit der
ungarischen Regierung zu schließen. Im Dezember 2018 kündigte die CEU an, ihre
US-akkreditierten Studiengänge im September 2019 nach Wien zu verlegen, da die
unagrische Regierung die Aufnahme von Studierenden ab 2019 verboten hatte.[3]
Akademie der Wissenschaften
Die ungarische Regierung, in der Sache vertreten v.a. von Minister Palkovics
(Innovation und Technik, Fidesz), kündigte 2019 Pläne an, welche die
Unabhängigkeit der Akademie der Wissenschaften stark bedrohen und einer
Zerschlagung nahekommen. Zunächst war geplant, 2/3 des Budgets unter direkte
Regierungskontrolle zu stellen. Nach erfolglosen Verhandlungen der Akademie,
welcher mit Scheinkompromissen begegnet wurde, die später zurückgenommen wurden,
beschloss das Parlament am 2.7.2019, die Forschungsinstitute der Akademie unter
die Kontrolle einer neuen Entität, des Eötvös Loránd Research Network (ELKH) zu
stellen, welches Gebäude der Akademie kostenlos nutzen können solle. Im
Governing Board der neuen Entität stellt die Regierung die Hälfte der Mitglieder
und hat entscheidenden Einfluss auf den Vorsitzenden.[4] Palkovics begegnet den
Vorwürfen der ungarischen Wissenschaft und u.a. auch der deutschen
Wissenschaftsorganisationen mit Ignoranz[5].
Corvinus University
Weiterhin verfolgt die Regierung Pläne, die Corvinus Universität, eine der
bekanntesten Hochschulen des Landes, zu privatisieren. Die Befürchtungen
beziehen sich auf eine drastische Erhöhung bzw. Einführung von Studiengebühren
und eine Reduzierung bzw. vollständige Kürzungen der staatlichen Finanzierung in
der Zukunft.[6]
Inter-, Homo-, und Transfeindlichkeit im Regierungshandeln
Neben den Angriffen auf die CEU und die Corvinus-Universität als solche wurden
insbesondere die Gender Studies ins Visier genommen. Per Dekret strich Orban
Ende 2018 dem an zwei Universitäten angebotenen Studium sowohl die
Akkreditierung als auch die Mittel. Einer seiner Sprecher sprach den Gender
Studies ab, eine Wissenschaft zu sein, und nannte sie stattdessen eine
Ideologie: "Der Standpunkt der Regierung ist, dass Menschen entweder männlich
oder weiblich geboren werden, und wir halten es für inakzeptabel, über
gesellschaftlich konstruiertes Gender statt über biologische Geschlechter zu
sprechen." [7] Dieser tiefgreifende Einschnitt in die akademische
Selbstverwaltung und Wissenschaftsfreiheit ist jedoch nicht überraschend, da er
sich in das sonstige Regierungshandeln und die in den staatlichen Medien
geäußerten Standpunkte nahtlos einfügt. So wurde nach einem Zeitungskommentar,
der das Musical Billy Elliot als schwule Propaganda bezeichnete, die ungarische
Produktion am Staatstheater abgesagt. Orban hat sich wiederholt gegen LGBT*-
freundliche Gesetzgebungen geäußert und in diesem Zusammenhang betont, dass die
"natürliche Reproduktion" im staatlichen Interesse liege. Eines seiner Ziele ist
die Steigerung der Geburtenrate um 2,1 Prozent. [8]
Antisemitische Kampagnenpolitik der Regierung bzw. der Fidesz-Partei
Schon seit vielen Jahren führen die ungarische Regierung, die Regierungspartei
Fisesz eine Kampagne gegen George Soros. George Soros ist ein Überlebender der
Schoah. Er hat eine Stiftung gegründet, die "Open Society Foundation", welche
nach dem Ende der Sowejetunion zahlreiche Projekte in Osteuropa fördert im Sinne
einer "offenen Gesellschaft" nach Karl Popper. Obwohl das Vorgehen der Stiftung
als "betulicher Antikommunismus" auch kritikwürdig ist [9], zeugen die Kampagnen
gegen George Soros persönlich von einer explizit antisemitischen Einstellung und
stellen antisemitisches Handeln dar. Sie beschränken sich nicht auf das o.g.
durch die von der Open Society Foundation geförderte Central European
University. So gab die unagarische Regierung einem 2018 verabschiedeten
rassistischen Gesetz, welches sich gegen die Hilfe für Geflüchtete richtet den
offiziellen Gesetzesnamen "Stop Soros"[10]. Das Gesetz droht Gefängnisstrafen
für Flüchtlinghilfe an.[11] Die Wahlkampagne von Orbans Partei Fidesz zur Wahl
im April 2018 fokussierte sich hauptsächlich auf eine Kampagne gegen Soros.
Bereits 2017 hatte die Regierung eine massive Posterkampagne gegen Soros mit
u.a. dem Slogan "Damit Soros nicht zuletzt lacht", womit der antisemitische
Topos der ob ihrer Allmacht lachenden Juden bedient wird. [12] Ebenso spielten
Bilder von Soros als Marionettenspieler eine Rolle. Er stellt sich damit in
antisemitische Traditionen ungarischer Politik und verschärfte diese auch durch
Einbindung von extrem antisemitischen Akteur*innen in seine Politik[13]. In die
antisemitische Kampagnenpolitik gegen Soros wurde auch EU-Kommissionspräsident
Ungarn einbezogen, was zu einiger Aufregung führte [14].
Der Protest und Gegenorganisation
2017 gab es bereits große Proteste gegen die Regierungsmaßnahmen gegen die CEU
(s.o.), am 2.4.2017 gingen 10.000 und am 8.4.2017 sogar 80.000 Menschen auf die
Straße, die Proteste wurden von Studierenden initiiert und von der
Administration der CEU unterstützt. Am 14.11.2018 protestierten Studierende der
ELTE-Universität gegen das Verbot von Gender Studies und vorangegangene
Einschränkungen bei Sozialwissenschaften, Medienwissenschaften und
Kulturanthropologie und forderten Wissenschaftsfreiheit und ausreichende
Finanzierung. Zu diesem Zeitpunkt formierte sich das Szabad Egyetem Collective
(übersetzt in etwa Offene Hochschule / Universität). In der Folge fanden
zahlreiche Aktionen und Demonstrationen statt, in deren Zentrum die
Platzbesetzung des zentralen Universitätsplatzes vor ungarischen Parlament auf
dem Kossuth-Platz stand.
Angesichts des sog. Sklavengesetzes, welches bis zu 400 Überstunden erlaubt und
Mitte Dezember 2018 vom Parlament beschlossen wurde, verbanden sich die
Studierendenproteste mit denen der Gewerkschaften gegen das Gesetz, die
Studierenden solidarisierten sich mit den Gewerkschaften, gemeinsame Aktionen
wurden durchgeführt.
Im Anschluss an die Proteste gibt es Bestrebungen, eine dauerhafte Organisierung
in Form einer studentischen Gewerkschaft mit basisdemokratischen Strukturen
aufzubauen. Der fzs unterstützt solidarisch diese organisatorischen Bemühungen
und wird die ungarischen Studierenden bei der Organisierung und in ihren Kämpfen
unterstützen. Dabei kann es sich um finanzielle Unterstützung wie um gemeinsames
Lernen von den Erfahrungen der jeweils anderen handeln, wie auch weiterhin im
ideelle Unterstützung.
Fußnoten:
[1] Beispiele, Demonstrationen, u.a: CEU Press Release 2.04.18, abrufbar unter:
https://www.ceu.edu/node/17917; Petition zur Eingabe ans Parlament mit 30.000
Unterschriften, CEU Press Release 04.04.2018, abrufbar unter:
https://www.ceu.edu/node/17948/; am 9. April protestierten 80.000 Menschen um
den Präsidenten von der Unterzeichnung des Gesetzes abzuhalten;
[2] EU Rapid Press Release, 26.04.2017, abrufbar unter:
http://europa.eu/rapid/press-release_MEX-17-1116_en.htm; PACE Statement
27.4.2017, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_MEX-17-
1116_en.htm; Europaparlament, 17.05.2017, abrufbar unter:
http://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20170511IPR74350/fundamental-
rights-in-hungary-meps-call-for-triggering-article-7.
[3] CEU Press Release, 3.12.2018, abrufbar unter:
https://www.ceu.edu/article/2018-12-03/ceu-forced-out-budapest-launch-us-degree-
programs-vienna-september-2019
[5] Interview mit Palkovics in der ZEIT, 26.6.2019
https://www.zeit.de/2019/27/laszlo-palkovics-ungarn-wissenschaftsfreiheit-
hochschulpolitik-forschung; Anmerkung: Nach dem Interview gab es einen weiteren
Protestbrief, den auch die Frauenhofer-Gesellschaft unterzeichnet hat.
[6] Hungarian Spectrum 7.102018, abrufbar unter:
https://hungarianspectrum.org/2018/10/07/another-leap-in-the-dark-privatization-
of-hungarian-universities/
[7] The Independent, 24.10.2018, abrufbar unter:
https://www.independent.co.uk/news/world/europe/hungary-bans-gender-studies-
programmes-viktor-orban-central-european-university-budapest-a8599796.html
[8] The Washington Post, 23.06.2018, abrufbar unter:
https://www.washingtonpost.com/news/worldviews/wp/2018/06/23/billy-elliot-shows-
canceled-in-hungary-amid-cries-musical-is-promoting-
homosexuality/?noredirect=on&utm_term=.4bf63d205338
[9] The Guardian, 20.6.2018, abrufbar unter:
https://www.theguardian.com/world/2018/jun/20/hungary-passes-anti-immigrant-
stop-soros-laws
[10] Lars Quadfasel, Rothschild heißt jetzt Soros, konkret 1/2019.
[11] vgl. ebd.; das Gesetz wurde auch vom UNHCR scharf kritisiert: UNCR, UNHCR
urges Hungary to withdraw draft law impacting refugees, 29.5.2018, abrufbar
unter: https://www.unhcr.org/news/press/2018/5/5b0d71684/unhcr-urges-hungary-
withdraw-draft-law-impacting-refugees.html
[12] Politico, 7.12.2017, abrufbar unter:
https://www.politico.eu/article/hungary-to-take-down-controversial-soros-
posters/
[13] Sueddeutsche, 7.4.2018, abrufbar unter:
https://www.sueddeutsche.de/politik/ungarn-der-furchtbar-fruchtbare-boden-fuer-
orbans-saat-1.3934982
[14] Politico, 18.2.019, abrufbar unter:
https://www.politico.eu/article/hungary-launches-campaign-targeting-jean-claude-
juncker-george-soros/
Begründung
Ist im Text enthalten bzw. erfolgt mündlich.