Veranstaltung: | 66. Mitgliederversammlung, digital |
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Tagesordnungspunkt: | 10. Inhaltliche Anträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Franziska C.. Pia |
Beschlossen am: | 06.03.2021 |
Basierend auf: | I-A1: e-Voting ist und bleibt unsicher, undemokratisch und ungeeignet |
e-Voting ist und bleibt unsicher, undemokratisch und ungeeignet
Beschlusstext
Wahlen sind die allgemeinste Form der politischer Beteiligung und bilden das
Fundament unserer Demokratie. Demokratische Wahlen sind allgemein, unmittelbar,
frei, gleich, geheim und unterliegen dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl.
Der fzs stellt fest, dass in den vergangenen Monaten immer mehr Hochschulen und
Studierendenschaften auf Online-Wahlen und e-Voting umstellen. Aufgrund der
Prozessabfolge sind Online-Wahlen und e-Voting derzeit nicht in der Lage die
Wahlgrundsätze demokratischer Wahlen zu gewährleisten. Dies ist den
technischen Verfahren geschuldet und wird auch in absehbarer Zukunft durch
keinen technologischen Fortschritt geändert.
Durch die vielen beim herkömmlichen Wahlverfahren involvierten Personen wird
eine Manipulation extrem erschwert. Im Gegensatz dazu kann bei einer Wahl mit
Wahlcomputern oder e-Voting-Systemen eine Manipulation nicht erkannt werden.
Viele Personen besitzen nicht die notwendigen Kompetenzen, um die genutzten
Programme nachvollziehen zu können. Selbst diejenigen, die sie besitzen - die
Informatiker:innen - besitzen in der Regel nur einige Teilkompetenzen und
können nicht das ganze System nachvollziehen. Aus einer rein technischen
Perspektive ist es nicht möglich, die Wahlgrundsätze im gleichen Maße
einzuhalten, wie dies bei regulären Wahlen der Fall ist. Die beteiligten
Personen haben keine Kontrolle über die Geräte und Programme in ihrem
Aufgabenbereich haben. Die relevanten Kontrollen finden an wenigen mit
punktuellem Aufwand kompromittierbaren Stellen statt.
Auch rechtlich wurde bereits mehrfach bestätigt, dass Online-Wahlen nicht in
der Lage sind, die Wahlrechtsgrundsätze einzuhalten; So urteilte etwa das
Bundesverfassungsgericht in Bezug auf den Einsatz von Wahlcomputern bei
Bundestagswahlen (BVerfG, Urteil vom 3.3.2009, 2 BvC 3/07), auch das
Verwaltungsgericht Gera kam hinsichtlich studentischer Online-Wahlen an der
Universität Jena zu dem gleichen Ergebnis (VG Gera, 24.05.2017 - 2 K 606/16
Ge).
Studierende sind nicht etwa unpolitisch. Die zunehmende Verschulung und
Ökonomisierung des Hochschulsystems macht studentisches Engagement immer
schwieriger. Die möglichen Freiheiten in Bologna werden nicht genutzt,
stattdessen werden die Repressionen gegen die Studierenden vorangetrieben:
Anwesenheitskontrollen, immer mehr Leistungsnachweise und
Studienfortschrittsgrenzen sind ein Ausdruck davon. Online-Wahlen können die
Fehler in der Studienreform nicht beheben. Wer mehr Engagement der Studierenden
möchte, muss die Räume dafür schaffen.
Immer wieder wird als Argument für Online-Wahlen angeführt, dass ihre
Einführung die studentische Wahlbeteiligung steigert. Ein solcher Effekt ist
aktuell weder flächendeckend an deutschen Hochschulen beobachtbar, noch können
gesicherte Aussagen darüber getroffen werden, ob die Steigerung nachhaltig
über einen bloßen “Neugier-Effekt” hinausgeht. Zudem sollte nicht von
einem monokausalen Zusammenhang ausgegangen werden; Zu viele Faktoren (etwa die
Art der Bewerbung der Wahl, der Wahlzeitraum oder aktuelle politische
Ereignisse) können einen Einfluss auf die Wahlbeteiligung nehmen.
Demokratie durch ein undemokratisches Wahlverfahren zu wollen, ist nicht
zielführend!
Studierenden mehr Entscheidungskompetenzen und Partizipation an den Hochschulen
zuzugestehen würde das Problem der sinkenden Wahlbeteiligung effektiver,
nachhaltiger und vor allem demokratischer lösen als die Einführung von Online-
Wahlen. Nicht die Option elektronischer Stimmabgaben motiviert Studierende an
demokratischen Prozessen zu partizipieren, sondern die Aussicht darauf, dass
diese Partizipation tatsächliche Auswirkungen auf ihren Studienalltag hat.
Online-Wahlen werden an Hochschulen durchgeführt - obwohl sie die
Wahlrechtsgrundsätze nicht einhalten können - da eine Beschränkung der
Wahlrechtsgrundsätze hier als vertretbar erachtet wird. Die Konsequenz ist eine
massive Abwertung der universitären Demokratie. Studentischer
Interessenvertretung wird ihr politischer und vor allem politisierender
Gestaltungsanspruch abgesprochen und sie wird zur bloßen Service- und
Verwaltungsleistung degradiert. Die Einführung von Online-Wahlen ist am Ende
eine weitere Ausprägung der stetig voranschreitenden Entpolitisierung und
Entdemokratisierung der (verfassten) Studierendenschaften.
Deswegen spricht sich der fzs gegen den Einsatz von Wahlcomputern und e-Voting-
Systemen aus, solange die Wahlgrundsätze nicht eingehalten werden können. Alle
Hochschulen und Studierendenschaften werden unter diesen Umständen aufgefordert,
vom Einsatz solcher Systeme Abstand zu nehmen. Der fzs fordert daher weiterhin,
dass auch keine Wahlcomputer und e-Voting-Systeme für die Wahlen außerhalb des
Hochschulwesens eingesetzt werden, um den allgemeingültigen Grundsätzen der
demokratischen Wahlen gerecht zu werden.
Begründung
Seit mehreren Jahren beschäftigen sich unterschiedliche Informatiker:innen mit
dem Problem des e-Votings. Die Konferenz der deutschsprachigen
Informatikfachschaften (kurz: KIF) hat sich bereits zweimal gegen den Einsatz
von Wahlcomputern und e-Voting-Systemen ausgesprochen
(https://wiki.kif.rocks/wiki/KIF345:Resolution_E-Voting,
https://wiki.kif.rocks/wiki/KIF460:Resolutionen/Elektronische_Wahlen ). Auch der
Chaos Computer Club (kurz: CCC) rät dringend vom Einsatz solcher Systeme ab
(https://media.ccc.de/v/pw17-167-probleme_mit_e-voting,
https://media.ccc.de/v/34c3-9247-der_pc-wahl-hack ,
https://netzpolitik.org/2015/31c3-e-voting-ist-und-bleibt-unsicher/ ).
Warum lehnen so viele Informatiker:innen e-Voting ab?
Demokratische Wahlen sind allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim. E-
Voting-Systeme genügen diesen Ansprüchen nicht. Im folgenden wird die Wahl mit
einem Wahlcomputer betrachtet. Eine Person geht wählen, sie steht vor dem
Wahlcomputer und möchte die Partei A wählen. In einer Papier-basierten Wahl
setzt sie in einer Wahlkabine ihr Kreuz bei der Partei A, faltet das Blatt und
wirft es unter Beobachtung in die versiegelte Urne. Diese wird im Papier-
basierten Verfahren unter Beobachtung, nach Schließung der Wahllokale, wieder
geöffnet und alle Stimmen gezählt. All das kann beobachtet werden - bis auf das
setzen des Kreuzes.
Ist das auch bei Wahlcomputern möglich?
Die Person steht also in der Wahlkabine und möchte Partei A wählen. Wie kann sie
sicher sein, dass die Software auf dem Wahlcomputer genau das tut? Sie könnte im
Vorfeld die Software-Kontrollieren. Um nachvollziehen zu können, was der
Quellcode tut, sind mindestens rudimentäre Kenntnisse im Bereich der
Programmierung notwendig. Nur ein geringer Teil der Bevölkerung hat diese
Kenntnisse. Nun wird der Quellcode in für Maschinen verständlicher Code
überführt. Auch hier könnte eine Manipulation stattfinden. Um dies
Auszuschließen, muss der sogenannte Compiler überprüft werden. Dafür sind
spezielle Kenntnisse aus dem Bereich der Informatik nötig, die nur sehr weniger
Informatiker*innen in der nötigen Tiefe besitzen. Aber nehmen wir an, die Person
hätte diese Kenntnisse und wäre auch in der Lage, das Compliat (der für
Maschinen verständliche Code) zu verstehen. Dieser Code läuft auf einem
Computer. Der nächste Schritt, an dem Manipulation stattfinden kann. Um die
Wahlgrundsätze einhalten zu können, müsste unsere wählende Person auch in der
Lage sein, die Hardware zu verstehen und zu testen, um eine Manipulation
auszuschließen. Die hierfür erforderlichen Kenntnisse besitzen auch wieder nur
sehr wenige Informatiker:innen. Jetzt gehen wir davon aus, dass unsere wählende
Person auch das kann.
In der Wahlkabine vor dem Wahlcomputer steht nun eine Person, die in der Lage
ist die Software in gänze mit Compilat und auch die Hardware zu verstehen. Wie
kann sich diese Person sicher sein, dass vor ihr der Wahlcomputer mit der
Hardware, die zuvor versprochen und überprüft wurde, und mit der Software, die
zuvor versprochen und überprüft wurde? USB-Sticks in Wahlcomputer stecken ist
eine ganz schlechte Idee (Traue keinem USB-Stick, der nicht dir gehört!), es
könnte darauf Schadsoftware geladen sein, die alles zerstört. Wie also soll
das überprüft werden? Defacto ist das nicht möglich. Unsere wählende Person,
die zwar alle nötigen Fähigkeiten hat, kann das nicht überprüfen. Sie muss
also darauf vertrauen, dass alles so ist wie es ihr versprochen wurde. Doch
damit entsprechen die Wahlen schon nicht mehr den Wahlgrundsätzen.
Aber wir nehmen an, dass das doch alles in Ordnung ist. Jetzt müssen die Stimmen
an den Server, der diese auszählt. Wie können die Stimmen zum Server gebracht
werden? Die erste Möglichkeit ist, die Stimmen über das Internet zu übertragen.
Hier müsste aber sichergestellt werden, dass mit einer sicheren Verschlüsselung
die Daten gesichert werden. Unsere wählende Person müsste also auch das prüfen.
Kryptographie ist ein weiteres Spezialgebiet der Informatik und insbesondere der
Mathematik. Eine weitere Möglichkeit ist, den Wahlcomputer physisch zum Server
zu bringen. Hier müsste unsere wählende Person sicherstellen, dass keine
Manipulation passiert. Auch nicht durch einen technischen Fehler. Als dritte
Option ist wieder ein USB-Stick denkbar, mit allen Problemen von vorher.
Vielleicht klappt das ja alles und die Stimmen kommen ohne Manipulation beim
Server an. Dieser zählt jetzt die Stimmen. Hier ergeben sich die exakt gleichen
Probleme wie zuvor mit dem Wahlcomptuter in der Kabine - unsere wählende Person
muss alles überprüfen und dann darauf vertrauen, dass die Hard- und Software
genau so sind wie ihr das versprochen wurde.
Wir nehmen also an, dass wir beim wählen mit dem Wahlcomputer sicher gehen
können, dass wir vor der Hardware stehen, die uns versprochen wurde, mit der
Software, die uns versprochen wurde. Wir nehmen weitere an, dass unsere Stimme
auf sicherem Weg zu einem Server transportiert wird, der das tut, was uns
versprochen wurde.
Wahlen basieren allerdings auch auf dem Konzept von Misstrauen - jeder Schritt
in einer Papier-basierten Wahl wird penibel beobachtet und jeder Verdacht auf
Fälschung wird exakt untersucht. E-Voting basiert aber, wie oben beschrieben,
auf sehr großem Vertrauen. wir müssen darauf vertrauen, dass alles so läuft, wie
es uns versprochen wurde. Es ist auch für Informatiker:innen extrem schwer jeden
einzelnen Schritt vollständig nachvollziehen und überprüfen zu können. Dafür
sind einfach zu viele Spezialgebiete der Informatik betroffen: Algorithmik,
Compiler, Technische Informatik und Kryptographie. Jedes dieser Gebiete hat noch
weitere Untergebiete, die sich immer weiter spezialisieren. Damit ist eine
vollständige Überprüfung durch nur eine Person defacto unmöglich. Und selbst,
wenn es möglich wäre, müssten alle anderen Menschen dieser Person trauen
(https://www.youtube.com/watch?v=w3_0x6oaDmI ,
https://www.youtube.com/watch?v=LkH2r-sNjQs ). Die in dem abgeschlossenem System
Wahlcomputer/e-Voting ablaufenden Prozesse sind für die breite Bevölkerung in
keiner Weise nachvollziehbar oder überprüfbar. Sie ist deshalb auf die Aussagen
von wenigen Menschen mit fachlicher Expertise angewiesen, denen sie blind
vertrauen müsste. Doch selbst diese können nicht verifizieren, dass die
tatsächlich eingesetzten Systeme mit den von ihnen überprüften identisch sind.
Die Systeme können so manipuliert worden sein, dass die Stimmabgabe abgehört
oder verändert wird.
Auch abseits von Wahlcomputern hat e-Voting sehr viele Sicherheitsprobleme.
Mögliche Angriffe auf per Mail versendete Wahlen sind Man-in-the-middle
(https://www.youtube.com/watch?v=-enHfpHMBo4 ), Cross-Side-Scripting
(https://www.youtube.com/watch?v=L5l9lSnNMxg,
https://www.youtube.com/watch?v=vRBihr41JTo ), SQL-injections
(https://www.youtube.com/watch?v=_jKylhJtPmI ) und und und (https://logbuch-
netzpolitik.de/tag/e-voting ). Die Sicherheit der Wahlen kann nur dann möglich
werden, wenn alle Menschen ihre Mails verschlüsseln, ihre Daten verschlüsseln
und ihre elektronischen Geräte auf dem aktuellsten Sicherheitsstand halten
(https://www.youtube.com/watch?v=svEuG_ekNT0 ). Und selbst dann können immer
neue Sicherheitslücken aufgedeckt werden
(https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/978-0-387-35586-3_37.pdf ,
https://ieeexplore.ieee.org/stamp/stamp.jsp?tp=&arnumber=6234426 ,
https://www.usenix.org/legacy/events/evt/tech/full_papers/Estehghari.pdf ,
https://www.researchgate.net/profile/Thomas_Lauer/publication/228920801_The_Risk-
- _of_eVoting/links/004635182c0960710c000000.pdf ). Daher ist für die Zukunft zu
erwarten, dass sich die genannten Probleme nicht lösen werden
(https://netzpolitik.org/2018/schreckliche-idee-us-zwischenwahlen-auf-
smartphones-und-mit-blockchain/ , https://netzpolitik.org/2019/wahlcomputer-
hacks-und-pannen-so-unsicher-sind-die-us-wahlen/ ,
https://netzpolitik.org/2019/was-vom-tage-uebrig-blieb-eu-webseiten-jetzt-eu-
kompatibler-der-oesterreichische-staatstrojaner-und-e-voting-disaster-in-
spanien/ , https://netzpolitik.org/2016/e-voting-in-australien-das-mag-den-
lobbyisten-freuen-nicht-aber-den-waehler/ )
Wie bereits im Antragstext dargelegt, sind Online-Wahlen an Hochschulen durch
eine Einschränkung der Wahlrechtsgrundsätze möglich. Konkret heißt es im Urteil
des Verwaltungsgerichts Gera:
„Grundsätzlich haben Bund und Länder dafür Sorge zu tragen, dass die Grundsätze
der allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl eingehalten
werden. Diese Wahlgrundsätze gelten prinzipiell auch für die Wahlen in anderen
öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungskörperschaften und Anstalten, allerdings
mit gewissen Einschränkungen (Klein in: Maunz/Düring, GG, Kommentar, Erg.lief.
Nov. 2012, Art. 38, Rz. 81 m. w. N.). Sie dürfen nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts im Bereich der Hochschulwahlen im Hinblick auf die
jeweiligen Besonderheiten und spezifischen Sachaufgaben der Hochschule noch
weiter eingeschränkt werden“ (VG Gera, 24.05.2017 - 2 K 606/16 Ge).
Weiterhin heißt es im gleichen Urteil, dass auch die „Einschränkung des
Wahlgrundsatzes der Öffentlichkeit hinzunehmen“ sei.
Auch in der amtlichen Begründung zur „Verordnung zur Durchführung online
gestützter Wahlen der Hochschulen und der Studierendenschaften in Nordrhein-
Westfalen“ wird ausgeführt:
„Online gestützte Wahlen sind in den Hochschulen praktisch undurchführbar, wenn
insbesondere die einfachgesetzlichen Wahlgrundsätze der freien und geheimen
Wahl, aber auch der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl, so verstanden werden,
wie diese Grundsätze bei Parlamentswahlen begriffen werden“.
In Anbetracht dessen ist es beunruhigend mit was für einer Regelmäßigkeit
Wahlcomputer und e-Voting-Systeme gefordert werden, auch in
Studierendenschaften. Der fzs sollte sich hier hinter die Wissenschaft stellen
und derartige Wahlsysteme ablehnen. Diese Ablehnung bezieht sich dabei sowohl
auf Wahlen an Hochschulen als auch außerhalb von Hochschulen. Die
demokratischen Wahlgrundsätze gelten überall, auch an Hochschulen. Sie müssen
daher auch überall eingehalten werden. Die KIF und der CCC haben sich
entsprechend positioniert. Mit diesem Antrag schließt sich der fzs dem an.
Änderungsanträge
- Ä1 (VS Tübingen, Abgelehnt)