Veranstaltung: | 66. Mitgliederversammlung, digital |
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Tagesordnungspunkt: | 11. Initiativanträge |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Hanna, Sebastian und Jacob |
Basierend auf: | Ini-A1: fzs kritisiert das "Netzwerk für Wissenschaftsfreiheit" |
fzs kritisiert das "Netzwerk für Wissenschaftsfreiheit"
Beschlusstext
Ein Netzwerk von etwa 70 Wissenschaftler*innen behauptet, die freie Forschung an
Hochschulen in Deutschland werde von einer sogenannten Cancel Culture von links
gefährdet. Wissenschaftler*innen müssten mit öffentlicher Diskreditierung und
der Erstickung wissenschaftlicher Debatten rechnen. Diese Behauptung ist nicht
einfach aus der Luft gegriffen: Tatsächlich müssen Wissenschaftler:innen, etwa
bei Forschungen zur genetischen Grundlage von Intelligenz, mit einer
öffentlichen Debatte über die eugenischen Grundannahmen hinter einer solchen
Forschung rechnen. Die Vorstellung, Wissenschaftler:innen vor dieser Debatte zu
schützen, ist antidemokratisch. Auch die Vorstellung, eine öffentliche Debatte
habe ausshchließlich in Form von "sachlichen" Beiträgen (also ohne
Ideologiekritik) in Zeitschriften und Zeitungen stattzufinden, ist
elitaristischer Unsinn und mit demokratischen Grundrechten wie Versammlungs- und
Redefreiheit nicht vereinbar.
Es ist in der Tat notwendig, über Wissenschaftsfreiheit zu reden. In den letzten
Jahren war in der Bundesrepublik viel die Rede von den illiberalen Tendenzen in
Ungarn und der Türkei, von Angriffen dieser Länder auf die
Wissenschaftsfreiheit. Erst zu Beginn dieses Jahres kam es wegen der Ernennung
eines Universitätspräsidenten der Bogazici Universität in Istanbul durch den
Staatspräsidenten Erdogan zu massiven Protesten, über die sich deutsche
Politiker:innen weitgehend wohlwollend äußern. Doch die strukturellen Grundlagen
für solche Angriffe werden nicht gesehen: Die zunehmende Machtkonzentration in
Rektoraten, die Ausheblung der Hochschulautonomie insbesondere bei der
Rektoratswahl, die Einschränkung der Studierendenrechte und die Ausweitung von
ordnungsrechtlichen Maßnahmen gegen universitäre Proteste.
Wer sich diese Grundlagen anschaut, wird schnell feststellen, dass auch
hierzulande die Hochschuldemokratie und -autonomie massiven Angriffen ausgesetzt
ist. Doch weil die AfD, die die freie Wissenschaft politisch angreift, noch
nicht die Wissenschaftspolitik mitgestaltet und damit diese strukturellen
Weichenstellungen ausnutzen kann, wird diese Gefahr einfach ausgeblendet.
Die neoliberale und autoritäre Reorganisation der Hochschule ist schon jetzt ein
Angriff auf die freie Wissenschaft, da Forschung nur noch mit Blick auf
Drittmittel und Impact-Score möglich ist. Viele der Missstände, gegen die wir
uns als fzs aussprechen, schränken ebenfalls praktisch die Wissenschaftsfreiheit
ein: Kettenbefristung, Drittmittelabhängigkeit, mangelnde Hochschuldemokratie
und übermäßige Machtkonzentration in Hochschulleitungen etc. pp.
Das Netzwerk für Wissenschaftsfreiheit sieht aber ausgerechnet in einem der
letzten Residuen der Hochschuldemokratie, der universitären Protestkultur, eine
Gefahr. Sie sehen nicht, dass sie durch die Anrufung einer autoritären
Technokratie zur Unterbindung demokratischer Konfliktkultur letzlich auch ihre
eigene Freiheit aufgeben: Denn wo Freiheit lediglich durch eine höhere Autorität
gewährt wird und nicht selbst durch autonome und demokratische Organisation
errungen wird, kann sie jederzeit wieder entzogen werden, gilt also nur solange
sie genehm ist und ist daher keine.
Wir als Verband bekennen uns klar zur Freiheit der Wissenschaft und stellen
fest:
Diese kann nur im Rahmen von wirklich autonomen Hochschulen und Instituten
gelebt werden. Diese wirkliche Autonomie ist untrennbar verbunden mit
demokratischer Organisation. Wir weisen daher jeden Versuch,
Wissenschaftsfreiheit und Hochschuldemokratie gegeneinander auszuspielen,
zurück. Vielmehr rufen wir alle Hochschulmitglieder auf, sich für die
Verwirklichung der Demokratie an Hochschulen einzusetzen und diese gegen
Angriffe von Außen wie von Innen zu verteidigen.
Eine wirklich demokratische Hochschule ist langfristig auch nur in einer
wirklich demokratischen Gesellschaft möglich. Während Wissenschaft im besten
Sinne dazu beiträgt, Ideologien zu kritisieren, Herrschaftsverhältnisse sichtbar
zu machen und Beteiligungsprobleme zu lösen, arbeitet Pseudo-Wissenschaft am
genauen Gegenteil.
Hier werden Herrschaftsverhältnisse als natürlich erklärt, legitimiert,
Ideologie unkritisch reproduziert und letzlich Beteiligungsprobleme geschaffen.
Demokratische Auseinandersetzungen an Hochschulen sollen nach der Vorstellung
des "Netzwerkes" nur in "sachlichen", am besten fachinternen Debatten geführt
werden. Wir widersprechen hier vehement: Pseudowissenschaft gehört nicht nur
"sachlich kritisiert", sondern aus wissenschaftlichen Institutionen verbannt.
Genauso wie es keine Lehrstühle für Homöopathie geben sollte, muss auch in
anderen Kontexten die radikale Forderung denkbar sein, einen Zweig der
Pseudowissenschaft vollständig abzuschaffen. Dies wäre für sich genommen keine
Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit!
Gleichzeitig ist für uns als Verband klar, dass dies nur das letzte Mittel sein
kann. Insbesondere sollte nicht der Versuch unternommen werden, eine Debatte an
der Hochschule durch Einbeziehung der Landes- oder Bundespolitik zu umgehen. Die
demokratische Auseinandersetzung sollte in erster Linie an der Hochschule
stattfinden und Protest sich in erster Linie an die Mitglieder der Hochschule
richten.
Begründung
Das sogenannte "Netzwerk für Wissenschaftsfreiheit" behauptet, die
Wissenschaftsfreiheit sei wegen einer Cancel Culture von links gefährdet.
Leider findet das Netzwerk in der Öffentlichkeit und auch in den Hochschulen
damit hin und wieder Anklang – obwohl dem Netzwerk selbst eigentlich die
wissenschaftliche Fundiertheit für ihre Aussagen fehlt.
Der Antrag ergänzt dabei die bisherige Beschlusslage des fzs. So kann der fzs
sich sowohl auf öffentlicher als auch auf institutioneller Ebene gegen die
Positionen des Netzwerks stark machen und auf die eigentlichen Probleme in der
Wissenschaftsfreiheit hinweisen.
Initiativcharakter
Entschuldigt, dass wir den Antrag jetzt erst einbringen. Die Debatte rund um
Wissenschaftsfreiheit gibt es ja doch schon etwas länger: Vor ein paar Monaten
noch in erster Linie wegen autoritären Staaten und wie deutsche Hochschulen
damit umgehen sollen – und mittlerweile behaupten einzelne Professor*innen, in
Deutschland wäre die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr…
Sicherlich hätten wir also auch schon früher einen Antrag zu
Wissenschaftsfreiheit formulieren können. Doch mit der Gründung dieses
Netzwerks vor ein paar Wochen sehen wir einen sehr konkreten und auch zeitlich
dringenden Grund, dass der fzs sich hierzu positioniert. Längerfristig freuen
uns wir natürlich auch über weitere allgemeinere und breitere Positionen bzgl.
Wissenschaftsfreiheit.