Änderungen von Ini-A1 zu Ini-A1NEU
Ursprüngliche Version: | Ini-A1 |
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Status: | Modifiziert |
Eingereicht: | 02.03.2021, 17:15 |
Neue Version: | Ini-A1NEU |
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Status: | Beschluss |
Eingereicht: | 10.04.2021, 16:11 |
Titel
Antragstext
Von Zeile 1 bis 53:
Dieses Netzwerk von etwa 70 Wissenschaftler*innen behauptet, die freie Forschung an Hochschulen in Deutschland werde von einer sogenannten Cancel Culture von links gefährdet. Wissenschaftler*innen müssten mit öffentlicher Diskreditierung und der Erstickung wissenschaftlicher Debatten rechnen. Diese Behauptung ist trotz vielfacher Wiederholung nicht belegbar. Sie hängt sich an einigen Vorkommnissen der letzten Jahre auf, ist aber in keiner Weise zu vergleichen oder gar gleichzusetzen mit den bisherigen Debatten zu Wissenschaftsfreiheit, die im Zusammenhang mit dem Agieren autoritärer Staaten gehalten wurden. Wenn in Istanbul der regierungsnahe Meile Bull als Präsident der Boğaziçi-Universität eingesetzt wird und bei Protesten Student*innen, Professor*innen und wissenschaftliche Mitarbeiter*innen mit Polizeigewalt und Verhaftungen konfrontiert werden, ist die Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit deutlich erkennbar. Wenn aber an der Uni Hamburg der AfD-Mitbegründer Bernd Lucke mit Protesten konfrontiert wird oder der Auftritt von Thilo Sarrazin an der Universität Siegen sogar nur diskutiert wird, kann man nicht von einer Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit sprechen. Hier wird dagegen protestiert, dass Rechtsaußen angesiedelten Personen im öffentlichen Raum der Hochschule eine Plattform geboten wird. Ein Bernd Lucke bezeichnet hier Kritik an seiner Lehre als eine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit und nutzt die mediale Aufmerksamkeit, um sich zu inszenieren. Statt nun eine Debatte über Wissenschaftsfreiheit zu führen, müssten vielmehr Diskussionen über die Qualität der Lehre und Forschung geführt werden.
Proteste dagegen, dass oftmals menschenfeindlichen Positionen an Hochschulen eine Plattformen gegeben wird, sollten nicht nur auf Akzeptanz sondern explizit auch auf Unterstützung stoßen.
Dass aus Protesten gegen menschenfeindliche Positionen einiger Dozierender nun ein Druck zur Selbstkonformisierung abgeleitet wird, ist absurd. Stattdessen weisen Befragungsergebnisse selbst konservativer Gruppen wie der KAS auf andere Ursachen für Konformitätsdruck hin: Viel eher entsteht solch ein Druck in erster Linie durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse, unter denen Wissenschaftler*innen an Hochschulen im Zuge neoliberaler Umgestaltung Finanzmittel für ihre Forschungsprojekte akquirieren müssen. Die Dauerbefristung etlicher Wissenschaftler*innen hat zur Folge, dass die Beschäftigten unter hohem Druck und ständiger Angst vor Arbeitslosigkeit arbeiten müssen. Diese Prekarisierung führt zu wenig Kontinuität, was sich unmittelbar negativ auf die Qualität von Forschung und Lehre auswirkt.
Die Behauptung einiger Mitglieder des Netzwerkes, wie bspw. Michael Sommer, Hochschulen würden die Wissenschaftsfreiheit ihrer Professor*innen nicht zu Genüge unterstützen erscheint schier lächerlich, wenn mensch sich die jüngsten Ereignisse an der Universität Hamburg ansieht. Wenn eine Universität pseudowissenschaftliche Papiere einer ihrer Professoren auf Twitter teilt, „um eine breite Diskussion“ zu erlauben, zeigen sich Probleme auf ganz anderer Ebene. Nicht nur hat hier ein Professor unwissenschaftliche Arbeit veröffentlicht, die Universität hat ihn hierbei sogar noch unterstützt. Einige Professor*innen der Universität haben sich bereits deutlich von den veröffentlichten Papieren distanziert. Dass die Unileitung dies noch nicht geschafft hat, zeugt von Angst vor dem Vorwurf der Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit.
Der fzs setzt sich für eine Stärkung der (Selbst)Kritischen Wissenschaft ein. Die Vorwürfe einer Cancel Culture dienen vor allem der Einschränkung von (legitimer) Kritik und demokratischer Meinungsäußerung. Die Machtverhältnisse, die zwischen Professor*innen und Studierenden bestehen, müssen in den Debatten mitgedacht werden.
Ein Netzwerk von etwa 70 Wissenschaftler*innen behauptet, die freie Forschung an Hochschulen in Deutschland werde von einer sogenannten Cancel Culture von links gefährdet. Wissenschaftler*innen müssten mit öffentlicher Diskreditierung und der Erstickung wissenschaftlicher Debatten rechnen. Diese Behauptung ist nicht einfach aus der Luft gegriffen: Tatsächlich müssen Wissenschaftler:innen, etwa bei Forschungen zur genetischen Grundlage von Intelligenz, mit einer öffentlichen Debatte über die eugenischen Grundannahmen hinter einer solchen Forschung rechnen. Die Vorstellung, Wissenschaftler:innen vor dieser Debatte zu schützen, ist antidemokratisch. Auch die Vorstellung, eine öffentliche Debatte habe ausshchließlich in Form von "sachlichen" Beiträgen (also ohne Ideologiekritik) in Zeitschriften und Zeitungen stattzufinden, ist elitaristischer Unsinn und mit demokratischen Grundrechten wie Versammlungs- und Redefreiheit nicht vereinbar.
Es ist in der Tat notwendig, über Wissenschaftsfreiheit zu reden. In den letzten Jahren war in der Bundesrepublik viel die Rede von den illiberalen Tendenzen in Ungarn und der Türkei, von Angriffen dieser Länder auf die Wissenschaftsfreiheit. Erst zu Beginn dieses Jahres kam es wegen der Ernennung eines Universitätspräsidenten der Bogazici Universität in Istanbul durch den Staatspräsidenten Erdogan zu massiven Protesten, über die sich deutsche Politiker:innen weitgehend wohlwollend äußern. Doch die strukturellen Grundlagen für solche Angriffe werden nicht gesehen: Die zunehmende Machtkonzentration in Rektoraten, die Ausheblung der Hochschulautonomie insbesondere bei der Rektoratswahl, die Einschränkung der Studierendenrechte und die Ausweitung von ordnungsrechtlichen Maßnahmen gegen universitäre Proteste.
Wer sich diese Grundlagen anschaut, wird schnell feststellen, dass auch hierzulande die Hochschuldemokratie und -autonomie massiven Angriffen ausgesetzt ist. Doch weil die AfD, die die freie Wissenschaft politisch angreift, noch nicht die Wissenschaftspolitik mitgestaltet und damit diese strukturellen Weichenstellungen ausnutzen kann, wird diese Gefahr einfach ausgeblendet.
Die neoliberale und autoritäre Reorganisation der Hochschule ist schon jetzt ein Angriff auf die freie Wissenschaft, da Forschung nur noch mit Blick auf Drittmittel und Impact-Score möglich ist. Viele der Missstände, gegen die wir uns als fzs aussprechen, schränken ebenfalls praktisch die Wissenschaftsfreiheit ein: Kettenbefristung, Drittmittelabhängigkeit, mangelnde Hochschuldemokratie und übermäßige Machtkonzentration in Hochschulleitungen etc. pp.
Das Netzwerk für Wissenschaftsfreiheit sieht aber ausgerechnet in einem der letzten Residuen der Hochschuldemokratie, der universitären Protestkultur, eine Gefahr. Sie sehen nicht, dass sie durch die Anrufung einer autoritären Technokratie zur Unterbindung demokratischer Konfliktkultur letzlich auch ihre eigene Freiheit aufgeben: Denn wo Freiheit lediglich durch eine höhere Autorität gewährt wird und nicht selbst durch autonome und demokratische Organisation errungen wird, kann sie jederzeit wieder entzogen werden, gilt also nur solange sie genehm ist und ist daher keine.
Wir als Verband bekennen uns klar zur Freiheit der Wissenschaft und stellen fest:
Diese kann nur im Rahmen von wirklich autonomen Hochschulen und Instituten gelebt werden. Diese wirkliche Autonomie ist untrennbar verbunden mit demokratischer Organisation. Wir weisen daher jeden Versuch, Wissenschaftsfreiheit und Hochschuldemokratie gegeneinander auszuspielen, zurück. Vielmehr rufen wir alle Hochschulmitglieder auf, sich für die Verwirklichung der Demokratie an Hochschulen einzusetzen und diese gegen Angriffe von Außen wie von Innen zu verteidigen.
Eine wirklich demokratische Hochschule ist langfristig auch nur in einer wirklich demokratischen Gesellschaft möglich. Während Wissenschaft im besten Sinne dazu beiträgt, Ideologien zu kritisieren, Herrschaftsverhältnisse sichtbar zu machen und Beteiligungsprobleme zu lösen, arbeitet Pseudo-Wissenschaft am genauen Gegenteil.
Hier werden Herrschaftsverhältnisse als natürlich erklärt, legitimiert, Ideologie unkritisch reproduziert und letzlich Beteiligungsprobleme geschaffen. Demokratische Auseinandersetzungen an Hochschulen sollen nach der Vorstellung des "Netzwerkes" nur in "sachlichen", am besten fachinternen Debatten geführt werden. Wir widersprechen hier vehement: Pseudowissenschaft gehört nicht nur "sachlich kritisiert", sondern aus wissenschaftlichen Institutionen verbannt. Genauso wie es keine Lehrstühle für Homöopathie geben sollte, muss auch in anderen Kontexten die radikale Forderung denkbar sein, einen Zweig der Pseudowissenschaft vollständig abzuschaffen. Dies wäre für sich genommen keine Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit!
Gleichzeitig ist für uns als Verband klar, dass dies nur das letzte Mittel sein kann. Insbesondere sollte nicht der Versuch unternommen werden, eine Debatte an der Hochschule durch Einbeziehung der Landes- oder Bundespolitik zu umgehen. Die demokratische Auseinandersetzung sollte in erster Linie an der Hochschule stattfinden und Protest sich in erster Linie an die Mitglieder der Hochschule richten.